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Whoop Whoop nach Wuppertal

Ich kann mich daran erinnern, dass ich eine Anschlussverbindung bekommen konnte, weil mein erster Zug pünktlich ankam. Er kam pünktlich, zum angekündigten Gleis, fuhr planmäßig ab, und das Ziel wurde auch ohne Verspätung erreicht.

Es war der Sommer 2015.

Es stimmt einfach nicht, dass die Bahn immer zu spät ist.


 


Ich bin immer gut überrascht, wie schnell sie den Tisch im Großraum mit Sekt und Toffifee aufdecken können.

Kaum sind die Sitzpläne mit, ohne und mit aber ohne angezeigten Reservierungen ausgehandelt, stehen oder liegen sie schon bereit: die Zeitschriften, Malbücher, Plastik Sektgläser, die Wasserflaschen und Brotdosen; ausgepackt auf dem Tisch. Schnell wird der Koffer noch einmal umgezogen, das Tetris mit den Rucksäcken und Handtaschen zu Ende gespielt und Schokolade herumgereicht. Nach dem Anstoßen kommen schon das erste Gläschen, das umkippt, und die Fahrkartenkontrolle. Kurz wird es dadurch ungemütlich, aber es gibt immer jemanden, der unerhört laut telefoniert (entweder ein Business Hengst oder eine Omi, die nicht weiß, dass das Handy auch ohne Lautsprecher geht), und das gesellschaftliche Schmunzeln im Waggon-Kreis bringt die Klassenfahrt Stimmung wieder zurück.

Spätestens wenn die Omi im lauten Gespräch „Tschüüs“ in ihr Handy ruft, und das Schlitzohr aus dem hinteren Sitz zurück „Tschüüs“t, sind alle wieder gut drauf und nun aber bereit für den Sekt.


Ich jedenfalls komme heute nicht so schnell beim Fun Part an, weil ich im mit 153 kmh Fahrt annehmenden ICE erst noch hoch-agil meine weitere Reise planen muss.


Nächster Halt zwar erst in zwei Stunden 47 Minuten Essen Bahnhof, aber der Handyakku ist bei 18%, und das Aufladekabel, das ich mitnahm, sieht nur gut aus. Also herrscht schon ein gewisser Stresspegel. Die DB-Werbung vor mir mit einer entspannten Frau im Leinen-Sommerurlaub-Kleid, die ihren „Alltag mit der Deutschen Bahn hinter sich lässt“, finde ich daher ganz schön nervig.


Handy-Akku sinkt plötzlich auch noch rasant, als ich die weiteren Verbindungen in meinen DB Navigator App laden will. “Akku-Zustand unter 10%„ warnt mich der iOS Popup.


Ausatmen.


In die FFP2.


Was wollte ich überhaupt? Also ursprünglich wollte ich


14:02 von Kiel nach Hamburg,

15:46 von Hamburg nach Wuppertal.


Die erste Fahrt dauert gute Stunde. Das gibt eine sehr gute halbe Stunde Umsteigezeit: passt.


Was passierte wirklich?

Im Kieler Hauptbahnhof angekommen, piepste die DB App, ich bekam eine Mail, und auf den Monitoren liefen Anzeigen: die Verbindung 14:02 entfällt. Gut, nimmste halt das Nächste, ein ICE, nach Hamburg. Zwar verkürzt sich die Umsteigezeit dann auf 10-12 Minuten, sollte aber trotzdem passen.


Die ICEs halten ja traditionsgemäß in der Weltmetropole Neumünster. Kurz vor Neumünster gibt es aber immer irgendetwas auf dem Gleis. Auch heute bremst unser ICE kurz vor Neumünster hart und hält mitten im Nirgendwo an. Habemus unerwartete Störung auf der Strecke bei bestem Wetter. Habemus Verspätung. Erst 4 Minuten, dann 6, dann 10 und schließlich 21.


Wenn ich so empfindlich über meinen Gehweg wäre, wie das ICE über seine Strecke, müsste ich nach jedem Krümel, der beim Frühstück auf den Boden fällt, das nächste Meeting verschieben.


Im Hamburger Hauptbahnhof angekommen, weht im Gleis 14, in dem mein Anschluss-ICE hätte stehen müssen, nur noch der Wind.


Jetzt sitze ich also in einem anderen ICE und fahre erst einmal irgendwie nach Süden. Der Handy Akku sinkt, die Kontrolleurin schwört, dass ich mein Geld zurück bekommen sollte, und der Sekt-Tisch kichert.


Ich finde heraus, dass ich um 19:20 in Essen die S8 nehmen und 48 Minuten nach Wuppertal fahren kann.


Da aber unser ICE auf der direkten Strecke -ich wiederhole: ohne Halt- nach Essen schon die ersten Verspätungszahlen meldet, schaue ich wieder nach alternativen Verbindungen in der DB App nach.


Falls die Verspätung bis Essen anhält, werde ich weiterfahren und in Düsseldorf die S9 um 19:42 nehmen.


Denn die nächste S8 von Essen wäre erst um 19:50, und somit ist die S9 von Düsseldorf sechs Minuten früher in Wuppertal.


Agilität lernt man bei der Bahn. Als Test könnten agile Projektleiter(a-z)* mit der Bahn von A nach B geschickt werden: Kommen sie an? Schon mal ganz gut. Kriegen sie die Kohle zurück? Controlling übergeben.. Rufen sie noch „Tschühüüs“ durch den Großraum wenn das laute Handy Gespräch beendet wird, Teamleitung zutrauen.. usw.


Handy-Akku auf 2%:

Schnell notiere ich mir alle S-Bahn Permutationen, die Hoteladresse und -Telefonnummer (was ist denn 0202 für eine James Bond Durchwahl) auf die Zeitschrift.


So langsam kann ich mich entspannen und zurücklehnen. Das ICE Kreuzworträtsel sollte mit ICE801 + ICE1021 + S8/S9 (statt RE7 + ICE615) aufgehen.

Nun muss ich nur noch den Monitor mit der Verspätungsanzeige im Blick behalten, der sich wie die großen Displays mit Börsenkursen aktualisiert.


Handy bei 1%:

Alles erledigt.

Whoop Whoop!


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