Tanke Emma und Alien-Invasion
- artacademy
- 14. Jan. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Juni
Zwischen zwei Meetings schnell einen Tee holen – genau da klingelt das Handy: Ob ich für die letzte Stufe des Bewerbungsprozesses nach Dortmund kommen möchte? Ich sage ja. Als ich kurz darauf einen Tag Urlaub einreiche, um von Kiel nach Dortmund und zurück zu fahren, tut das kurz weh.
An dem Tag: früh aufstehen, durcharbeiten, minimale Mittagspause, nach Feierabend ein effektives Powernap, gesunde Snacks für den Roadtrip vorbereiten, letzter Blick aufs Angebot für den Kunden – sieht noch immer gut aus. Laptop zu. Es geht los.
Tankanzeige auf halb, Navi zeigt rund fünf Stunden von Kiel nach Dortmund an, und im Radio gibt Queen Gas. Es passt alles.
Baustelle, Stillstand, Elbtunnel – zieht sich wie Kaugummi. Stop-and-go durch Hamburg, ein einziges Zähfließen auf der A7. Aber dann, nach zwei Stunden: raus aus Hamburg. Der Verkehr löst sich. Das Schlimmste ist geschafft.
Ich entscheide mich für eine Tankpause. Blinker raus, rein in die Tanke. Die Shell-Tankstelle in Bispingen auf der A7 ist eine kleine, auf den ersten Blick niedliche Tankstelle mit sechs Zapfsäulen in drei Reihen. Während ich an der rechten Säule das Auto stoppe, blinken Nachrichten meiner Vorgesetzten auf dem Handy auf. Obwohl es recht spät ist, scheint sie jetzt erst dazuzukommen, mein Angebot zu prüfen. Warum meine Schätzung so hoch sei, welches zweite Dev-Team gegengerechnet habe – und einiges mehr.
Ich habe morgen Urlaub, aber das Angebot soll nicht liegen bleiben. Also nehme ich das Handy mit, als ich aussteige. Der Zapfhahn in der rechten, das Handy in der linken Hand – beides ist schnell erledigt. Am Ende kommt das Angebot durch, und das Auto hat wieder Saft. An der Kasse will ich ausnahmsweise den Beleg – der Urlaubstag ist zwar hin, aber die Rechnung wird eingereicht.
Der Rest der Fahrt ist problemlos, abgesehen vom rot gefärbten Asphalt, der seltsame Wellen zu haben scheint – der Wagen ruckelt. Doch bei konstant über 150 km/h verschwindet der Effekt. Ich komme in einem Rutsch durch. Der Parkplatz ist direkt vor dem Hotel, und eine Viertelstunde später liege ich im Bett – eingeschlafen.
Der nächste Morgen ist straff getaktet: frühstücken, duschen, auschecken, zum Bewerbungsgespräch – danach direkt zurück nach Kiel.
So der Plan.
Ich verlasse das Hotel und lade meinen kleinen Weekender ins Auto. Zur Bewerbungsstelle sind es fünf Minuten zu Fuß. Die Luft ist klar, die Farben intensiv, die Bäume voller sattgrüner Blätter. Im Hintergrund leuchten zwei rote Kräne, und die warme Sonne blendet. Ich genieße es, ein paar Schritte zu laufen. Schöne Freiheit. Der Weg führt über die Stockholmer Straße, an der sich die Haltestelle „Helsinkistraße“ befindet. Ich schmunzle. Knapp 500 km südlich von Kiel ein Helsinki-Bus? Kann man machen.
Als das Gespräch und ein Rundgang durch die Geschäftsstelle beendet sind, denke ich: Ganz schön viel Aufwand für ein Bewerbungsgespräch.
Als ich kurz danach – wieder über die Stockholmer Straße – beim Auto ankomme, weiß ich noch nicht, wie hoch der Aufwand wirklich ist …

Es ist warm und sonnig. Ein Freiheitsjubel – der dicke Blazer fliegt auf den Rücksitz. Während des Anschnallens reiße ich alle Fenster auf, Schlüssel rein, ein schnelles Drücken auf den Radio-Button – ab geht die Fahrt zurück nach Hause bei bestem Wetter.
Oder auch nicht!
Noch einmal in R u h e: Gang auf leer. Schlüssel raus und wieder rein ins Zündschloss. Nach rechts drehen. Der Motor brummt – aber nicht so, wie er sollte. Hinten quillt eine dunkle Wolke heraus. Und riecht es da nicht auch irgendwie … falsch? Nach zwei weiteren vorsichtigen Versuchen und einem letzten, verzweifelten „Jetzt aber!“, ist es klar: Dieser Motor wird so nicht starten.
Ich spreche einen Mann an, der neben mir parkt – und schon ziemlich skeptisch guckt. Ob er eine Idee hat? Er probiert sich kurz am Zündschloss, dann zeigt er wortlos auf das riesige Gebäude gegenüber: ADAC.
Inzwischen stecke ich mitten in einer dichten, fast schwarzen Abgaswolke. Es stinkt nach fünfstelligem Totalschaden. Die Motorengeräusche sind eine Katastrophe.
Krönung des Ganzen: Das da ist das fast neue Auto meines Freundes.
Ich lasse mich auf die Bordsteinkante sinken. Die letzten Minuten laufen wie ein Film vor meinen Augen ab: Der erste Startversuch - und in meinem Kopf beginnen die ersten langsamen Takte von Zorbas Tanz. Mit jedem erfolglosen Dreh des Schlüssels wird der Sirtaki schneller - die Spannung steigt.
Zwei Drähte berühren sich in meinem Kopf. Ich greife zum Rucksack, ziehe das Portemonnaie heraus und nehme den Tankbeleg. Ich drehe ihn um – langsam.
36,79 Liter 85,32 € Super Fuel Save E10.
Das Auto meines Freundes ist nicht nur recht neu – es ist auch ein Diesel.
Nun erreicht der Sirtaki seinen Höhepunkt. Der Kreis schließt sich. Zapfpistolen legen imaginär ihre Nasen auf die Schultern der anderen und tanzen in schnellster Schrittfolge um mich und das Auto herum.
Der Modus Operandi muss her. Ich rufe den ADAC an. Eine automatische Durchsage informiert mich freundlich, dass aufgrund außergewöhnlich hohen Aufkommens derzeit keine neuen Fälle aufgenommen werden.
Aha.
Ich schaue wieder auf das Gebäude, auf das der Mann gezeigt hatte: Das Auto ist exakt gegenüber einer der größten ADAC-Filialen gestrandet. Ich muss lachen.
Der inzwischen gehende Mann sagt, ich solle mir nicht allzu viele Hoffnungen machen – der Motor sei hin. Doch da bin ich längst auf dem halben Weg zur ADAC-Tür. Querfeldein, über die Wiese.
Sie haben geöffnet, die Theke ist besetzt. Keine telefonische Annahme mehr? Kein Problem, ADAC. Gewinnerinlächeln.
Doch ein paar Minuten später sinken meine Schultern wieder. Werkstatt? Gibt es hier nicht. Sie helfen mir bei der telefonischen Schadensaufnahme. Mein Fall wird registriert. ADAC wird ASAP vorbeikommen.
Wie teuer der Spaß wird, will ich wissen. Man könne nichts sagen. Moment. Wird es wenigstens vier- oder fünfstellig? Auch das: nicht einzuschätzen.
Aha.
Zurück im Auto google ich die nächste Tankstelle. 300 Meter - machbar. Ich rufe dort direk an. Der Mann am Telefon sagt wortwörtlich:
„Leider dürfen Sie unser Grundstück aktuell nicht betreten. Bei uns wurde gestern eingebrochen. Polizeiliche Ermittlungen. Niemand darf den Bereich im Umkreis von 50 Metern verlassen..."
Wie bitte?
Stopp.
Zurückspulen:
Ich habe am helllichten Tag knapp 37 Liter E10 in einen Diesel gekippt. Bin damit rund 300 Kilometer auf der Autobahn gefahren. Und lebe noch. Als ich das Falschtanken melden will – Annahmestopp beim ADAC. Als ich Diesel holen will – Tankstelle gesperrt wegen polizeilicher Ermittlungen.
Was kommt als Nächstes – eine Alien-Invasion?
Ich entscheide mich, auf den ADAC zu warten – und gehe zurück ins Hotel, um eine Nacht zu verlängern. Der Rezeptionist sagt, es sei noch genügend frei. In dem Moment klingelt mein Handy, also gehe ich wieder raus.
Der Rest läuft anstandslos. Das Auto wird abgeschleppt. In der Werkstatt sollen die Leitungen durchgespült werden. Danach wird man sehen, ob der Motor überlebt hat. Wenn ja, bezahle ich „nur“ Spülung und Abschleppdienst. Wenn nein – eBay Kleinanzeigen, Totalschaden, Bankrott.
Beim Zurückgehen winke ich in der Abendsonne dem Auto hinterher – leicht melancholisch. Ich drehe mich zur Lobby wie Lucky Luke, der gerade Jolly Jumper zurückgelassen hat.
Dort sieht mich der Rezeptionist mit großen Augen an und verkündet traurig:
„Es tut mir leid – es sind inzwischen doch alle Zimmer weg.“
Er weiß nicht, was für einen Gefallen er sich selbst tut, als er schnell hinterherschiebt, dass es ein Scherz war.
Am späten Abend kommt die Nachricht: Der Motor springt wieder an. Ich vergöttere das Auto an Ort und Stelle.
Und bin bodenlos dankbar.
Dafür, dass ich den 300-km-E10-Ritt - und der Rezeptionist seinen Witz - überlebt habe.
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