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Tanke Emma und Alien-Invasion

Zwischen zwei Meetings kurz Tee holen, genau da klingelt das Handy: Ob ich für die letzte Stufe des Bewerbugsprozesses nach Dortmund kommen mag? Ich sage, ja. Als ich kurze Weile später einen Tag Urlaub einreiche, um von Kiel nach Dortmund und zurück zu fahren, tut das schon ein wenig weh.


 

Am Tag der Tage von früher Stunde an durcharbeiten, minimale Mittagspause, nach Feierabend ein effektives Power-Nap sowie gesunde Snack für den Roadtrip, letzter Blick auf das Angebot an den Kunden -sieht noch immer gut aus-, Laptop zu, und ich bin so weit.


Tankanzeige auf halb, Navi zeigt um die fünf Stunden von Kiel nach Dortmund an, und im Radio gibt Queen Gas. Das passt schon alles.


A7, Baustelle, Elbtunnel, Baustelle, Hamburg, raus aus Hamburg... und Freiheit! So. Nach knapp zweit Stunden ist das Schlimmste geschafft, und ich entscheide mich jetzt für die Tankpause. Also Blinker raus, rein in die Tanke. Die Shell-Tanke in Bispingen auf der A7 ist eine kleine, auf den ersten Blick niedliche Tankstelle mit sechs Tanksäulen auf drei Reihen. Während ich an der rechten Tanksäule das Auto zum Stehen bringe, sehe ich Nachrichten von meiner Vorgesetzten auf meinem Handy blinken. Obwohl es recht spät ist, scheint sie jetzt erst dazugekommen zu sein, mein Angebot durchzusehen. Warum meine Schätzung so hoch sei, welches zweites Dev-Team gegengeschätzt hätte, und einiges mehr.


Ich habe morgen Urlaub, das Angebot soll nicht liegen bleiben also nehme ich mein Handy mit, wenn ich zum Betanken aussteige. Der Zapfhahn auf der rechten, das Handy auf der linken Hand, ist beides schnell erledigt. Am Ende kommt das Angebot durch, und das Auto hat wieder Saft. An der Kasse will ich ausnahmsweise den Beleg haben. Der Urlaubstag ist hin aber die Rechnung wird eingereicht.


Der Rest der Fahrt ist problemfrei bis auf die Tatsache, dass der rot gefärbte Asphalt auf der Autobahn seltsame Wellungen zu haben scheint, wodurch der Wagen ruckelt aber wenn ich konstant über 150 kmh fahre, ist der Effekt weg oder nicht mehr spürbar. Ich komme in einem Rutsch durch. Der Parkplatz ist direkt vor dem Hotel, und eine Viertelstunde später bin ich schon im Hotelzimmer und eingeschlafen.


Der nächste Tag ist ein üblicher, durchgetakteter Meetingtag: Frühstücken, duschen, auschecken, ab zum Bewerbungsgespräch, nach dem Gespräch direkt wieder los nach Kiel. So der Plan.


Ich gehe aus dem Hotel raus und lade meinen kleinen Weekender schon mal ins Auto. Zur Bewerbungsstelle sind es zu Fuß fünf Minuten. Die Luft und Farben draußen sind klar, die Bäume voll mit sattgrünen Blättern, im Hintergrund leuchten zwei rote Krane, und das warme Licht der Sonne blendet. Ich genieße es, ein paar Schritte zu laufen. Schöne Freiheit. Der Weg führt über eine Stockholmerstraße, auf der die Haltestelle "Helsinkistraße" ist. Ich schmunzel. Knapp 500 km südlich von Kiel ein Helsinki-Bus? Kann man machen.


Als das Gespräch und ein Rundgang durch die Geschäftsstelle fertig sind, dachte ich daran, dass dies für mich das bisher aufwändigste Bewerbungsverfahren sein muss.


Als ich kurz danach wieder (über die Stockholmer Straße) beim Auto bin, weiß ich noch nicht, wie hoch der Aufwand tatsächlich ist...


 




 

Es ist warm und sonnig. Ein Freiheitsjubel, und der dicke Blazer landet auf dem Rücksitz. Während Anschnallen alle Fenster aufreißen, Schlüssel rein, das schnelle Drücken des Radio-Buttons, und ab geht die Fahrt zurück nach Hause bei bestem Wetter!


Oder auch nicht...


Noch einmal in Ruhe: Gang auf leer, Schlüssel raus und wieder ins Zündschloss, und nach rechts drücken. Der Motor brummt, aber nicht, wie er brummen sollte. Kommt hinten eine dunkle Wolke raus, und riecht es irgendwie unangenehm?


Nach zwei weiteren achtsamen und einem letzten, Gib-Alles-Versuch, ist auch mir klar: dieser Motor wird so nicht starten.


Ich frage einen Mann, der neben mir parkt (und komisch guckt), ob er vielleicht einen Tipp hat. Auch er probiert sich einmal an dem Zündschloss und zeigt mir direkt auf das Riesengebäude auf der anderen Straßenseite: ADAC.


Mittlerweile stecke ich in einer großen, fast schwarzen Wolke, und es stinkt nach einem fünfstelligen Totalschaden. Die ungeheuren Motor-Geräusche künden es an: Es ist mein Ende. Das jämmerliche Ding da ist das relativ neue Auto von meinem Lebenspartner.


Vor meinen Augen laufen die letzten Minuten wie ein Film ab: mit dem ersten Startversuch des Autos fängt Zorbas Tanz an. Mit jedem Neuversuch, das Auto zu starten, baut sich der Sırtaki auf, und da berühren sich zwei Drähte in meinem Kopf. Ich laufe zum Vordersitz, hole mein Portemonnaie aus meinem Rucksack. In Zeitlupe drehe ich die Tankstellen-Rechnung um:


36,79 Liter 85,32€ Super Fuel Save E10

Das Auto von meinem Freund ist nicht nur recht neu, sondern auch ein Diesel-Auto. Nun erreicht der Sırtaki seinen Höhepunkt. Der Kreis schließt sich, ein paar Zapfpistolen legen ihre Nasen auf die Schulter des anderen und tanzen in schnellster Schrittfolge um mich und das Auto herum.


Ich rufe schnell ADAC an, bekomme aber eine automatische Durchsage, dass zurzeit aufgrund des ungewöhnlich hohen Aufkommens telefonisch keine neuen Fälle mehr aufgenommen werden. A-ha?!


Da schaue ich noch einmal auf das Gebäude, auf das der Mann zeigt. Das Auto ist tatsächlich neben einer der größten ADAC-Stellen, die ich gesehen habe, zum Stehen gekommen. Mit einem Mal lache ich laut und schalte in modus operandi um. Der Mann sagt, ich soll nicht viel Hoffnung haben, der Motor müsse neu. Da bin ich grinsend schon auf dem halben Weg zum ADAC.


Ich hüpfe in der Tat über die Wiese, die auf der anderen Straßenseite ist und gehe erwartungsfroh rein, als ich sehe, dass sie geöffnet haben, und die Front besetzt sind. Keine telefonische Annahme mehr? Kein Problem, ADAC.


Nach mehreren Minuten senken sich allerdings meine Schultern wieder. Sie haben hier keine Werkstatt. Sie unterstützt mich allerdings bei der Telefonzentrale, und mein Fall wird schon mal aufgenommen. Es soll einer herumkommen. Was es kosten wird, kann nur keiner sagen.


Moment.

Ich frage, ob sie zumindest einschränken können, ob vier oder fünfstellig? Nein. A-ha?!


Ich bekomme den Tipp zu der nächsten Tankstelle zu laufen.. ich sage, nein! Doch: ich soll zur Tanke und mir ein Kanister Diesel holen. Dann den ins Auto kippen und schauen, ob der Motor eventuell doch startet.


Zurück im Auto haue ich Google an. Nächste Tankstelle in 300 Metern. Machbar. Ich rufe direkt an. Der Mann am Telefon sagt

Leider dürfen Sie unser Grundstück nicht betreten. Gestern Abend wurde bei uns eingebrochen, daher wird hier polizeilich ermittelt. Auch darf keiner von uns einen Umkreis von 50 Metern um das Gebäude herum verlassen...

bla bla bla. Wie bitte? Vor allem was noch?


Hier nun mal anhalten und zurückspulen: Ich habe am hellichten Tage knapp 37 Lieter E10 in ein Diesel-Auto getankt. Damit bin ich gute 300 km auf der Autobahn gefahren und ich lebe noch (die Autobahn war dabei übrigens gerade wie eine Linie, keine "Wellungen"). Als ich das Falschtanken bei der ADAC melden wollte, war bei der ADAC Aufnahmestopp. Und als ich zur nächsten Tanke wollte, um Diesel zu kaufen, war dort Betretungsverbot wegen einer polizeilichen Untersuchung nach einem Einbruch. Was kommt jetzt? Eine Alien-Invasion?


Ich entscheide mich auf den ADAC-Dienst zu warten und kehre zurück zum Hotel, um meinen Aufenthalt eine Nacht zu verlängern. Der Rezeptionist versichert mir, dass noch genug Zimmer frei sind, und da es nun auch auf meinem Handy klingelt, gehe ich wieder raus.


Der Rest läuft anstandslos. Das Auto wird geschleppt. In einer Werkstatt sollen seine Innereien durchgespült werden. Danach wird zu sehen sein, ob der Motor noch anspringt. Wenn ja, bezahle ich "nur" die Dusche plus den Abschleppdienst, sonst geht es für mich auf eBay-Kleinanzeigen und Bankrott. Als ich noch die feste Zusage bekomme, dass ich einen Kostenvoranschlag von der Werkstatt bekomme, bevor sie mit der Arbeit beginnen, schließe ich den Fall ab und kehre zurück zum Hotel. Dabei winke ich bei einbrechender Abendstimmung mit leichter Melancholie dem Auto hinterher und drehe mich zur Hotel-Lobby wie Lucky Luke, der sich gerade von Jolly Jumper getrennt hat.


Als der Rezeptionist mir mit weit geöffneten Augen und trauriger Stimme verkündet, dass nun doch alle Zimmer weg sind,


weiß er nicht, was für ein Gefallen er sich selbst getan hat, in dem er schnell offenbart, dass es ein Scherz sei.


Am späten Abend erfahre ich, dass der Motor wieder anspringt, vergöttere an der Stelle das Auto, und bin bodenlos dankbar, dass sowohl ich den 300 km langen E10-Ritt mit einem Dieselwagen als auch der Rezeptionist seinen eigenen Witz überlebt haben.




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